Deine Freunde

 

 

Wenn ich aufwache:

 

Wenn es regnet:

 

Wenn dann die Sonne:

 

Jeden Morgen oft um neun im Sommer sonntags früh am Morgen kommt er jeden Abend gegen sieben nach Hause er ist groß und stark:

 

Wenn jemand mit ihm redet sagt er im Vorbeigehen:

 

Jeden Dienstag oft wenn die Sonne scheint glänzt für kurze Zeit eine Zeitlang bis zum Mittag meine Nase mein Kinn dann öffne ich mein Fenster bevor ich gehe:

 

Vor seinem Tod habe ich lange Zeit Angst gehabt wie sonst nur am ersten Tag nach acht am Morgen nach dem Jahr 1910:

 

Zu jener Zeit früher bat er mich am Abend für vier Sous jeden Morgen auf fünf Francs herauszugeben so gehe ich schnell wegen der Diebe:

 

Wenn mir nach Luxus zumute ist beim Vorbeigehen an den Cafés einmal glücklich und voll der Hoffnung bin ich lange Zeit in meinem Bett wenn ich es Mitternacht schlagen hörte wenn ich auf die Uhr schaute am Morgen bei der Ankunft ohne Blick auf den Zähler unterschiede man zwei geöffnete Knöpfe drei Uhr hernach: die Liebe!

 

Manchmal esse ich bei gleich welchem Wetter entlang einer Mauer auf dem Trottoir:

 

Nachts um eins kommt mir der Nachmittag weniger lang vor im Kontrast:

 

Alle drei Monate am Abend warte ich bis alle Gäste weg sind denn ich bin es dann der abschließt nachdem auf der Straße plötzlich selbstverständlich unwillkürlich mir die vergrößerten Photographien an den Wänden unversehens die Kleider samt Knöpfen vom Leib reißen wollen aber die Furcht hielt nicht lange momentlang an dann fiel es endlich ich verlor den Kopf:

 

Am nächsten Morgen gegen fünf Uhr im Morgengrauen bin ich nicht schön bald wie gewöhnlich nicht mehr nicht weniger.

 

Wenn man einen ganzen Tag lang ohne zu reden wie ein Hund unerschöpflich ängstlich gefaßt die Augen zu schließen gegen den eigenen Willen eines Abends gegen sechs Uhr in einer Ansammlung überall Leute ohne Bewußtsein die Augen offen zum Trocknen aufgehängte Pupillen glänzten unnormal uninteressant in diesem Augenblick ehe nicht die Revolution für einen Moment unwillkürlich für mich allein die Augen geschlossen atmete gleichsam der arme Mensch aus den Augenwinkeln allmählich ein wenig vielleicht ohne nachzudenken so knapp zuerst und dann ein solch großer Trost inzwischen freilich mit einem Mal unwillkürlich schnell dann sofort:

 

-       Und du, was nimmst du?

-       Das gleiche wie Sie.

 

und dann:

 

-       Wie heißt du?

-       Bâton Victor

-       Aber ja

 

Am nächsten Morgen sofort:

 

Der Tag verging langsam wie in den Nächten wenn man nicht schläft mit der Empfindung von Luft am Nachmittag wurde es Abend jeden Tag gegen sechs Uhr immer wieder wie gestern sechs Uhr vielleicht unablässig inzwischen plötzlich fürchtete ich dank der Finsternis einen Mann zuerst unwillkürlich daraufhin mit einem Schlag gleichzeitig scheinbar zerstreut mit der Selbstsicherheit der taktlosen Leute sagte er immer nur wie ein Stammgast

 

- Ich zahle ... Ich zahle

     - Aber Sie sind nicht reich.

     - Einmal ist keinmal.

 

Einmal ist keinmal zum ersten Mal schlug mir ein heftiger Wind ins Gesicht,

 

-       Auf morgen, Bâton.

-       Ja, auf morgen.

 

Ich bestellte das was am billigsten ist: einen „Café nature“.

 

-       Einen großen? fragte der Ober.

-       Nein, einen kleinen.

 

Ich verbrachte den nächsten Tag damit mir einzureden nicht hören zu müssen aber um neun Uhr früh am Abend irgendwo über mir schlug es acht doch die Vorstellung eines leeren Abends verscheuchte mir mich wie üblich höflich sofort aus Sorge das sei nicht genug hinaus.

 

Weiter weg rauchte ein anderer Mann und wandte mich und stützte sich bis zur Daumenwurzel drei oder vier Mal kam ich in der letzten Etage an: es gabe ein leises Dröhnen.

 

-       Wer ist da?

-       Ich.

 

Den eigenen Namen zu nehmen mutet mich jedesmal seltsam an vor allem

 

-       Wer?

 

obwohl ich doch kaum trotz meiner Fröhlichkeit lächerlich mit einem Hochgefühl immer peinlicher wurde betrachtete ich das Zimmer

 

-       Nimmst du Milch?

 

obwohl mein erster Gedanke war ich könnte vergessen glaubte ich wie zerstreut unter den Sohlen den Teppich der ersten Etage zuerst seine Beine dann gelb von der Sonne die Luft die Brust, sonst rue de Seine an jenem Tag aber Montrouge am Nachmittag drei Uhr viermal lächerlich verlegen sicherlich trotzdem aber vielleicht schon mehrere Stunden niemals gerade erst jetzt und jetzt aus Angst solch eine Zerstreutheit erschiene im übrigen schmal unterwegs das war es wahrhaftig das ist der Dank der Welt es war kaum vier an sich am Abend und mein Besuch auf dem Weg zur letzten Etage hielt in meinen Ohren unter den Achseln an.

 

-       Wer ist da?

-       Bâton ... Bâton.

-       Ah! Gut ...

 

Vor der Tür horchte ich in Sorge im Schlüsselloch als ich mich zu Tode geschämt gebückt gewaschen ungeniert hinkend mich fertig anziehen „anziehen“ „ausziehen“ denken ließ. Was würde er sagen!

 

-       Wie geht es Ihnen, Monsieur Bâton?

-       Ganz gut ... und Ihnen?

-       Sie langweilen sich wahrscheinlich, Madame, wenn Henri nicht da ist?

-       Ja ... ziemlich.

-       Sie sind sicher glücklich mit ihm.

-       Ja.

-       Ich kann Sie verstehen.

-       Ich verstehe Sie, wiederholte ich, er langweilt Sie.

-       Wer?

-       Billard.

 

Schweigen. Fürs erste blieb mir ein Augenblick morgen um drei benommen rot schüchtern ungenützt legte ich mich zu Bett. Ich mußte schlafen mochte ich auch immer wieder seltsam in meinem Kopf ohne Zweifel im täglichen Leben absichtlich ausführlich alt über Kopf um meine Füße schweigen da doch plötzlich auf diese Weise nicht einmal in meiner Vorstellung nicht von Dauer für kurze Momente an einem Märznachmittag entlang.

 

Es war fünf Uhr.

 

Von Zeit zu Zeit roch es vor mich hin wie auf Mitleid in Gedanken unwillkürlich verlegen interessant zuerst fürchtete ich auf einmal auf Zukunft die Wörter „hoffen“ und „Zukunft“ und redete endlos glücklicherweise das ganze Leben und wenn ich im letzten Moment wahrscheinlich langsam verharrte und tat als fürchtete ich von Zeit zu Zeit immer wieder wie immer unmittelbar wie in Angst die ewige Ruhe die man nicht sieht und die einen in den Fuß zwickt wider Erwarten immer wieder mein ganzes Leben lang.

 

-       Sie auch! sagte er.

 

Die Lage wurde ernster aber inzwischen war es nicht möglich bis zum letzten Moment gerettet verständnislos überrascht mit Liebe eine Minute lang

-       Was nimmst du?

-       Das gleiche wie Sie.

 

-       Wie heißt du denn?

-       Neveu ... und du?

 

Jetzt unversehens ganz und gar endlich hatte ich einen Freund gefunden. Ich weiß nicht zuerst dachte ich einmal hätte es mich verlegen gemacht fröhlich nie allein immer frei oder aber: zu zweit zufrieden-frischrasiert nichtsdestoweniger endlich erschienen die Frauen Puppen aus Pappe Parfüm drei Gläser zwei Flaschen ich zahlte alles und ging die Seele erfüllt mit zehn Francs für das Gute auf Erden einer Welt hinter den Schaltern weiter weg draußen auf dem Trottoir auf dem Vorplatz und ging aus dem Zimmer in eine andere Richtung zweifellos die der Tragödie und kehrte um um Neues zu sehen. Durch eine Glastür erblickte ich mitten im Hof ein Fenster im zweiten Stock weit geöffnet im Freien so wie im Bett in der Höhe in der Höhe seines Bauchs. Verlegen blickte ich auf, wobei er das Wort „auf“ in die Länge zog ohne mich zu entfernen weit weg von diesen heiligen Gegenständen, Menschenmassen, intelligenten Antworten, mit denen ich, enttäuscht, den Hut vor der Brust, von selber zufiel , bevor ich bewegungslos gähnte in heißer Luft zwischen den Lidern, im Schlaf, durch die offene Tür, als sei es Mittag. Es wurde Tag. Plötzlich erlosch das Licht, alles nahm andere Farben an. der Regen traf mich im Rücken, noch immer der Regen, der Schlamm der Atem in meiner luftleeren Brust zögert kreuz und quer entlang der Mauern über der Pforte auf und ab, wobei: niemand soll glauben, ich hätte geträumt.

 

In meiner Angst fragte ich mit erhobener Stimme das Schlüsselloch in der Erwartung ein Auge zu sehen, ohne Wimpern ohne Lid ohne Hut er wußte alles; ich war verloren. Nicht wissend, stellte ich mich dumm. Merci das ist der Dank ohne Freunde ohne Geld alle Welt auf einmal brach in Schluchzen aus auf den Wangen glänzte die Dummheit der Leute, die mich auf einem Zeitungsfoto, in einer Menschenansammlung ansieht und es ist wie etwas Unflätiges ja etwas Unflätiges mit einem Ypsilon in der Hoffnung

 

-       Leben Sie allein?

-       Ja, Monsieur.

-       Ich auch.

 

Von Zeit zu Zeit verschwanden ein Mann und eine Frau, nie Hand in Hand, in einem Flur, dann plötzlich beschämt unsicher schön und jung, nah und sanft setzte ich mich in der Meinung früh am Morgen leise aufzustehen, mich anzuziehen und wegzugehen, hinaus inn den Regen, dieses Zimmer zu verlassen, das nach unserem Atem un eingesperrten Stoffen roch.

 

Es dämmerte. unversehens hoben sich zwei leblose Augen Beine an sich bis zu den dicken Knien, die ich nicht kannte. Der Himmel war grau und naß von Tropfen auf dem Boden auf der Straße. Ich sang nicht, ich lachte nicht, ich arbeitete nicht, ich verzichtete ich bin und fürchte meine Nachbarn Frauen Herrn so viele Kinder sind Geschenke in diesen Seelen auf immer in zwei Wochen ja in vierzehn Tagen werden die Nachbarn mir genügen o welche Freude die eisernen blinkenden dröhnenden Stimmen Fremder Unbekannter Zukunft Aber so lange schon warte ich auf die rechte Seite, des Herzens wegen an meinen Füßen vor meinen weit offenen Augen

 

 

 

aus: Emmanuel Bove: Meine Freunde (1924), übersetzt von Peter Handke, Suhrkamp 1981, geschenkt von Ricoh Gerbl 2002.

 

DEINE FREUNDE sind auch MEINE FREUNDE, allerdings nur zum TEIL, es ist eine LEKTÜRE.

ND 2004 ff