Paradoxe Intervention mit Rosa Luxemburg
Entwurf für den Neubau der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin (nicht ausgewählt)
gemeinsam mit Daniela Comani
Jänner 2017
I – Paradoxe Intervention
Ein Satz wie ein Peitschenhieb – aber in rosa:
eine 7-stöckige, 7-zeilige Provokation, eine Feststellung,
die Bedingung der Möglichkeit einer anderen Gesellschaft,
gezeichnet in Umrissen – ex negativo –
richtet sich nicht an die da oben, sondern an die 99%, uns alle.
Es soll die Menschen auf pointierte Weise ansprechen,
sich nicht passiv auf eine reine Protesthaltung zurückzuziehen,
sondern sich selbst um die Verbesserung ihres Lebens
und die Veränderung der Gesellschaft zu bemühen
und entsprechend aktiv zu werden.
Die RLS will als Politisches Bildungsinstitut
den Menschen Werkzeuge an die Hand geben,
an einer Veränderung der Verhältnisse selbst mitzuwirken.
Doch ...
(aus: Rosa Luxemburg: „Die Sozialisierung der Gesellschaft“, Dezember 1918) *
In großen hellrosa Lettern schreibt sich
Rosa Luxemburg in die Fassade
an der Westseite des Gebäudes ein,
jeweils ein Buchstabe pro Fenster.
Dieser Satz strahlt somit weithin sichtbar
in die Umgebung aus und kann
sogar vom Zug aus gelesen werden.
Rosa Luxemburg war es ein
„Bedürfnis, so zu schreiben, dass [ich]
auf die Menschen wie der Blitz wirke,
sie am Schädel packe“, und zwar
„durch die Kraft des Ausdrucks“.
Die gerasterten und somit lichtdurchlässigen Buchstaben werden auf der Innenseite der Außenscheibe der Fenster mittels Siebdruck angebracht. Damit soll eine vorzeitige Verwitterung oder Beschädigung durch Umwelteinflüsse verhindert werden. Bei einer Fensterbreite von ca. 125 cm x 200 cm (B x H) soll der Buchstabe max. 70 cm x 120 cm groß sein.
Signiert wird dieser Satz durch ein Rosa X:
Eine der X-förmigen Betonstützen auf
der Westseite der Dachterrasse
wird rosa eingefärbt und fungiert
als Signatur unter dem Zitat.
II – Partizipative Zitate
An den Fensterflächen im Erdgeschoss werden
ebenfalls Zitate Rosa Luxemburgs angebracht,
allerdings in den Sprachen aller Länder,
in denen die RLS weltweit vertreten ist
Die Zitate sollen „partizitativ“
von den einzelnen Büros der RLS ausgewählt
und sowohl in der Landessprache als auch in
dt. bzw. engl. Übersetzung übermittelt werden.
Somit wird einerseits die internationale
Ausrichtung der Stiftung unterstrichen,
andererseits werden die jeweiligen
Außenstellen in den Prozess des Neubaus
aktiv involviert und bringen ihre Perspektive ein.
Der Text wird in weiß auf Glas per Siebdruck auf der Innenseite angebracht. Bei 17 verschiedenen Sprachen und 38 verfügbaren Fensterflächen auf allen 4 Seiten des Gebäudes wird auf ca. jedem zweiten Fenster ein Zitat angebracht.
* [...] Zu allen diesen großen Reformen gehört aber ein entsprechendes Menschenmaterial. (...) In der sozialistischen Wirtschaft fällt der Unternehmer mit seiner Peitsche fort. Die Arbeiter sind hier freie und gleiche Menschen, die zu eigenem Wohl und Nutzen arbeiten. Da heißt es eben, von selbst, aus eigenem Antrieb fleißig arbeiten, keine Verschwendung mit dem gesellschaftlichen Reichtum treiben, reellste und pünktlichste Arbeit liefern. Jede sozialistische Unternehmung braucht natürlich ihre technischen Leiter, die die Sache genau verstehen, die das Nötigste anordnen, damit alles klappt, damit die richtigste Arbeitsteilung und die höchste Leistungsfähigkeit erzielt wird. Da heißt es nun, diesen Anordnungen willig und voll und ganz folgen, Disziplin und Ordnung halten, keine Reibungen, kein Durcheinander herbeiführen.
Mit einem Wort: Der Arbeiter der sozialistischen Wirtschaft muß zeigen, daß er auch ohne die Hungerpeitsche, ohne den Kapitalismus und seinen Antreiber hinter dem Rücken fleißig und ordentlich arbeiten, Disziplin halten und sein Bestes leisten kann. Dazu gehören innere Selbstzucht, geistige Reife, sittlicher Ernst, dazu gehört das Gefühl der Würde und der Verantwortlichkeit, eine ganze innere Wiedergeburt des Proletariers.
Mit faulen, leichtsinnigen, egoistischen, gedankenlosen und gleichgültigen Menschen kann man keinen Sozialismus verwirklichen. Sozialistische Gesellschaft braucht Menschen, von denen jeder an seinem Platz voller Glut und Begeisterung für das allgemeine Wohl ist, voller Opferfreudigkeit und Mitgefühl für seine Mitmenschen, voller Mut und Zähigkeit, um sich an das Schwerste zu wagen. [...]
Fotos: Daniela Comani
" N e u e s D e u t s c h l a n d " / N D :
Überschriftzug und Eingangstür am derzeitigen Gebäude der
Rosa-Luxemburg-Stiftung am Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin.
Aus der Nachbarschaft:
Weiterer Text am Bau, Berlin:
Zitat aus "Berlin, Alexanderplatz" von Alfred Döblin, ebendort,
nach einem Entwurf des Architekten Sergej Tchoban.
Ab August 2000 bis ca. 2011.
vgl. Nächstes Jahr wirds noch kälter.
Suffixe des Hörensagens: Ayşe Erkmen: Am Haus, 1994,
permanente Installation, Oranienstr. 18, Berlin
Text am Bau, Wien:
FLEISCH & WÜRSTE, 1150 Wien